Kontrakturen
#1
Hallo zusammen,

Ich bin schon seit längerem in dem Forum angemeldet, habe aber nie selber reingeschrieben. Das Forum hat mir gerade am Anfang sehr viel Kraft gegeben... Vielen Dank!

Ich bin 23 Jahre alt. Mein Vater (59) hatte im März diesen Jahres einen Herzinfarkt und auf Grund von Sauerstoffmangel einen hypoxischen Hirnschaden erlitten. Seitdem liegt mein Vater im Wachkoma. Der schmerzhafte Weg meines Vaters ist ähnlich wie bei vielen hier verlaufen. Nach 2-wöchigem Aufenthalt in der Intensivstation ist er in eine Reha-Einrichtung nach Bad Segeberg ge-kommen. Wir (meine Mutter und Schwester) haben uns viel davon versprochen, gerade weil seine Befunde vom EEG (Aktivitäten in der Hirnrinde) und das beidseitig intakte SEP uns Hoffnung ge-macht haben. Die Zustände vor Ort waren jedoch unerträglich und haben seine Situation im Nachhinein glaube ich nur verschlimmert. Seit Juni ist er in einem Pflegeheim untergebracht. Meine Mutter ist voll berufstätig und trägt nun natürlich eine hohe Verantwortung für das Haus etc. . Eine Pflege zu Hause haben wir für meinen Vater und auch für uns als nicht richtig empfunden. Die Pfleger im Heim sind bemüht und herzlich und auch mein Papa fühlt sich nach unserem Empfin-den dort wohl. Wir sind fast jeden Tag bei ihm… Der Schock über seinen Unfall ist immer noch groß. Unsere Familie war sehr, sehr eng miteinander. Mein war Papa extrem sportlich, seinen Herzinfarkt erlitt er auch noch beim joggen. Er fehlt uns sehr, die Situation für ihn und für uns ist nicht in Worte zu fassen. Aber das kennen hier glaube ich alle…

Nun zu meiner Frage: Uns wurde mitgeteilt, dass das Tracheostoma entfernt werden soll. Er atmet im Prinzip „von Anfang an“ selbstständig und hat auch keine Probleme beim Schlucken. Gleichzeitig hat die Pflegedienstleiterin gesagt, das sein behandelnder Arzt überlege, auf Grund der Kontrakturen in einem Bein, ihm die Kniesehnen zu kappen. Hört sich grausam an! Vordergründig sei natürlich erstmal das Tracheostoma! Er würde mit der Kappung weniger Schmerzen haben und besser „beweglich“ sein. Auch wenn man nicht wisse was komme, wäre es im Moment für ihn das Beste…

Was haltet ihr davon? Ist das für die eine reine Pflegeerleichterung? Oder wird ihm damit wirklich geholfen? Ist das jemals wieder rückgängig zu machen?

Über eure Antworten und Hilfe wäre ich unheimlich dankbar! Das Internet gibt leider nicht so viel her was das angeht…

Liebe Grüße
zelami
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#2
Hallo Zelami,

ich weiß nicht, ob eine Sehnendurchtrennung rückgängig zu machen ist, jedoch wäre beides eine OP und mit Narkose verbunden, die man nicht unterschätzen sollte. Man kann Kontrakturen auch mindern mit Botox. Nach einer Botoxbehandlung ist die Krankengymnastik äußerst wichtig, mindestens 3 - 4 Mal in der Woche.
Ich finde es sehr schade, dass ihr euren Vater nicht zu Hause pflegen könnt.
Mein Sohn war nach seinem Unfall auch 8 Monate in der Reha, jedoch kamen seine Fortschritte erst zu Hause. Auch wenn die Diagnose Wachkoma lautet, bin ich sicher, dass die Patienten mitbekommen, ob sich die Umgebung geändert hat oder die Personen, die um ihn sind.
Wäre es euch möglich, euren Vater am Wochenende nach Hause zu holen?
Da ihr, wie du schreibst, ein inniges Verhältnis hattet, denke ich, dass seine gewohnte Umgebung ihm guttun würde.
Welche Therapien bekommt er denn?

Ich wünsche euch für die Zukunft viel Kraft,

liebe Grüße
Bea
Wenn Du glaubst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!
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#3
Hallo Bea,


Danke für deine Antwort!
wie sieht so eine Botoxbehandlung denn aus? Was genau ist das und wie wird sie eingsetzt?

Das mein Papa nicht zu hause ist, war für uns alle keine leichte Entscheidung, ganz und gar nicht!!! Hut ab vor jedem hier der das macht! Jedoch müsste meine Mutter dann ihren Job aufgeben und somit auch das Haus. Somit wäre die vertraute Umgebung, und wir hoffen eben das wir meinen vater dort nochmal auffangen können, nicht mehr gegeben… Ich denke das ist eine Entscheidung, die jede Familie für alle Seiten abwägen sollte und wir wissen dass mein Vater voll hinter uns stehen würde.

Aber noch mal zum Tracheostoma: Ist der Eingriff denn so schwerwiegend? Letztendlich ist es doch für den Menschen eine Erleichterung, oder? Eine Narkose in dem Zustand ist natürlich immer riskant, aber ich dachte das hätten die Ärzte heutzutage im Griff…

Nochmal danke für deine Antwort!

Dir auch weiterhin viel Kraft und Stärke für die Zukunft!

LG zelami
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#4
Hallo ,
ich hoffe, Du hast mich nicht falsch verstanden, es sollte kein Vorwurf sein, dass ihr euren Vater nicht zu Hause betreuen könnt, ich finde es für euren Vater nur schade. Natürlich geht eure Existenz vor, denn sonst wäre eurem Vater ja auch nicht geholfen. Mein Hinweis bezgl. der Narkose bezog sich auf die Sehnendurchtrennung.
Eine Botox-Behandlung ( Botolinumtoxin) sieht bei uns so aus:
Mein Sohn Dario bekommt zunächst einen Einlauf mit Ketanest ---somit schwebt er auf Wolke 7, bekommt die Einstiche nicht mit und hat an die Behandlung keine schlechten Erinnerungen. Dann bekommt er das Botox in die Muskeln gespritzt. Dadurch lässt nach Eintreten der Wirkung nach ca. 1 Woche die Muskelspannung nach und er wird lockerer. Darum muss auch in der Folgezeit gut krankengymnastisch therapiert werden. Botox hat ausserdem noch eine schmerzreduzierende Wirkung. Allerdings muss die Behandlung alle 3 - 4 Monate wiederholt werden, da die Wirkung nachlässt. Alternativ wird auch noch gern eine Backlofenpumpe in die Bauchdecke eingesetzt. Dafür ist Dario aber noch zu klein und das Risiko solch einer OP möchte ich nicht eingehen. Ausserdem kann es passieren, dass die Pumpe vom Körper abgestossen wird, oder sich der Schlauch löst, der in den Rückenmarkkanal gelegt wird, um das Medikament direkt über die Blutbahn abzugeben. Ich hoffe, ich habe das jetzt richtig erklärt, ansonsten bitte ich, dies zu korrigieren --- zumindest habe ich es so verstanden.
Die Pumpe wird aber meist nur bei extremer Spastik empfohlen.
Wir haben mit der Botoxbehandlung, die Dario nun schon fast 2 Jahre bekommt, nur gute Erfahrungen gemacht. Nebenwirkungen sind bei uns nicht aufgetreten. Ich würde euch empfehlen, zu dieser Behandlung den zuständigen Arzt zu befragen.
Solltest Du noch Fragen haben, kannst Du Dich gern an mich wenden. Schicke dir auch gern meine Tel.Nr. per PN. Ich gebe meine Erfahrungen gern weiter.

Liebe Grüße
Bea
Wenn Du glaubst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!
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#5
Hallo Zelami,
erstmal herzlich willkommen! Zunächst mal muss ich Dir sagen ich bin keine Expertin auf dem Gebiet Wachkoma und kann Dir leider bei Deiner Frage bezüglich der Sehnendurchtrennung keine Antwort geben. Ich habe zwar versucht etwas darüber in Erfahrung zu bringen, aber es war leider ebenso wie bei Dir erfolglos. Grundsätzlich würde ich mich aber der Meinung von Bea anschließen, dass man es in diesem Falle wohl zunächst mit einer Methode versuchen sollte die keine Narkose erfordert. In jedem Falle solltet ihr Euch, falls ihr Euch dennoch dafür entscheidet die Meinung eines anderen Arztes einholen.
In Bezug auf das Tracheostomas sieht es da meiner Ansicht nach schon ein wenig anders aus. Wenn Dein Vater es tatsächlich nicht mehr benötigt wäre hier schon eher über eine Narkose nachzudenken, da sich damit das Risiko einer Lungenentzündung vermindert. Mein Schwager hat in diesem Jahr sein Tracheo unter Narkose entfernt bekommen und wir waren zuvor in großer Sorge. Bei ihm ist aber zum Glück alles gut gegangen. Natürlich ist Dein Vater vermutlich älter und ich weiß nicht welche Begleiterkrankungen er hat. Bei einer Narkose kann leider immer etwas schief gehen. Ich wünsche Euch alles Gute und hoffe bei Deinem Vater geht es bald bergauf. Ich wünsche Euch allen viel Kraft für die bevorstehende Zeit.

Liebe Grüße
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#6
Hallo,

ich habe leider nicht viel Zeit... Bin gerade von meinem Papa zurückgekommen und muss noch was für die Arbeit machen Sad

Ich wollte nur kurz sagen, dass ich über die Anteilnahme hier im Forum unheimlich glücklich bin! Es tut gut, so viel Resonanz zu bekommen, vor allen Dingen von Leuten, die das gleiche Schicksal ereilt hat!

Melde mich bald wieder!

Liebe Grüße
zelami
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#7
Es ist die Liebe und das nicht vergessen werden, das heilen kann!
Das weis ich!
Habe das selbst erleben dürfen, das ein Mensch sein Traumland überwunden hat und nun wieder am Leben, so wie wir es kennen teilnehmen kann.
Komapatienten kriegen mehr mit als wir denken und sie sind höchstsensibel.
Ich kenne eine Frau die hat ihren Sohn nachhause geholt und sein Bett so gestellt,das jedes Familienmitglied an ihm vorbei musste und sich mit ihm beschäftigen mussten.
Das hat sich ausgezahlt, er redet wieder schüttelt dir die Hand, mal sehen was noch kommen darf
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#8
Hallo Zelami,

ich kann Bea zustimmen zum Thema Botox. Diese Behandlung ist viel weniger eingreifend als das Durchtrennen der Sehnen.

Botulinumtoxin ist ein starkes Nervengift, welches den Muskel lähmt und erschlaffen läßt, in den es gespritzt wird. Die Wirkung setzt nach 1 bis 2 Wochen ein und hält ca. 3 Monate an (siehe hierzu aiuch wikipedia).

Nach meiner Erfahrung wirkt es aber nicht immer. Es sollte dennoch ausprobiert werden, bevor es zu einer Kontraktur kommt. Signifikante Nebenwirkungen sind mir bei korrekter Anwendung bisher nicht bekannt.

Zum Thema Tracheostoma: wenn dein Vater gut schluckt sollte der Verschluß auf jeden Fall angegangen werden, denn seine Lebensqualität steigt dann erheblich und das Risiko einer Lungenentzündung sinkt erheblich.

Die Kanüle ist ein ständiger Fremdkörper in der Luftröhre, der als sehr unangenehm und auch schmerzhaft empfunden wird. Stelle dir doch uns Gesunde vor, wenn wir einen Brotkrümel in die falsche Röhre bekommen, wie stark wir husten und wie schmerzhaft das sein kann, bis der wieder draussen ist. Es ist gut, wenn euer Arzt so denkt, denn bei der Anlage des Stomas wird meist nicht an die Langzeitversorgung gedacht und nach einiger Zeit trauen sich Ärzte da oft nicht mehr dran, weils halt scheinbar sicherer ist...

Man kann auch zunächst die Trachealkanüle entfernen und das Stoma zukleben (z. B. mit einem hautfreundlichen Pflaster oder mit einem Hydrokolloidverband), um zu testen, wie dein Vater damit klar kommt. Wenn das Stoma bei der Anlahge nicht chirurgisch versorgt wurde, schließt es sich selbst nach kurzer Zeit. Wenn es zum Offenhalten chirurgisch versorgt wurde, muß es auch wieder chirurgisch verschlossen werden. Dies ist aber ein sehr kleiner Eingriff unter Kurznarkose, der u. U. auch ambulantt durchgeführt werden kann. Und Narkosen sind heutzutage so gut und sicher, dass das Restrisiko im Verhältnis zur deutlichen Verbesserung der Lebensqualität m. E. auf jeden Fall tragbar ist.

Ich wünsch euch alles Gute und deinem Vater viele Fortschritte,
liebe Grüsse,
Ralf
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#9
Hallo Ralf (und alle anderen),

danke für eure Tipps bzgl. des Tracheostomas!

Nächste Woche kommt ein Logopäde zu meinem Vater, der die Abnahme nun endgültig entscheiden soll. Ich hoffe sehr, das er das Tracheostoma los wird, es quält ihn sehr... Wie ist das eigentlich bei euch? Wehren sich eure Angehörigen auch so sehr gegen "diese Dinger"? Husten sie auch so viel? Es wurden schon sämtliche unterschiedliche Tracheostomas ausprobiert, aber mein Vater mag sie alle nicht...

Ansonsten läuft es wie es wohl bei jedem hier laufen muss. Meine Familie und ich sind viel bei meinem Vater. Heute haben wir ihm die Haare geschnitten, gepflegt und gewaschen und wir waren so glücklich darüber wie sehr er das genossen hat. Überhaupt werden seine Mimiken, seine Blicke und seine allg. Haltung (z. B. Kopf) immer kontrollierter und auch differenzierter... Wir glauben an ihn!

Euch allen weiterhin viel Kraft und Zuversicht!

LG zelami

"Die Liebe ist das einzige in der Natur, wo auch die Einbildungskraft selbst keinen Grund findet und keine Grenze sieht." (von Schiller)
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#10
Hallo Zelami,
habe mich sehr gefreut, Deine letzten Zeilen zu lesen- schön, dass Dein Vater kleine Fortschritte macht! Es wird ein langer Weg, aber jede kleine Veränderung und jeder Fortschritt macht uns Mut .
Auch bei uns gibt es immer mal wieder etwas Neues, auch nach 6 Jahren noch!

Liebe Grüße
Bea
Wenn Du glaubst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!
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