überlebt? das wird teuer
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Die Zeit 16.Feb.06


Potsdam/ Für Herrn K. ist Dr. Knud Gastmeiers Wartezimmer so etwas wie eine zweite Heimat geworden.
Im achten Jahr nun fährt der hagere Endvierziger mehrmals in der Woche aus Wittenberg 75 Kilometer mit dem Taxi nach Potsdam, um sich Spritzen gegen seine Nervenschmerzen setzen zu lassen. Dochjetzt sollen sich die Ärzte in seiner sachsen-anhaltischen Heimat um ihn kümmern, auch wenn diese sich bislang im Umgang mit "Drogen" und Spritzen in den Mund überfordert zeigten.
Wie K. geht es vielen der rund 250 Schmerzpatienten, die Dr.Gastmeier pro Quartal behandelt. Denn der Anästhesist gab gerade seine Zulassung zur speziellen Schmerztherapie zurück, mit der er seit fast zwanzig Jahren auch zahlreiche Palliativpatienten im letzten Teil ihres Lebens begleitet hatte. Ein radikaler Schritt, ausgelöst durch eine Regressforderung der AOK Sachsen-Anhalt. 76 000 Euro soll Gastmeier dafür zahlen, dass er seinen Krebspatientne K in den Jahren 2000 und 2001 mit einem wirksamen, doch teuren Medikament behandelt und damit womöglich sein Leben gerettet hat. Seit Jahren, sagt der Arzt, habe er unter "katastrophalen Bedingungen" gearbeitet, doch nun gehe es an seine Existenz. "Und da ist Schluss."
Alltag in der deutschen Palliativmedizin - oder niur ein Fall von Willkür einer außer Rand und Band geratenen Ortskrankenkasse? Die heftig geführte Debatte um den Fall Theresa Schiavo in den USA und die deutsche Dependenz des Schweizer Vereins Dignitas in Hannover haben die Fragen der Behandlung sterbenskranker Patienten auf der gesundheitspolitischen Agenda weit nach oben befördert. Auch das Land Brandenburg ließ Anfang 2005 eigens ein gutachten zum Stand der Palliativversorgung in der Mark anfertigen lassen. Ergebnis: Es gibt noch einiges zu tun. Noch immer ist eine umfassende Versorgungn unheilbar kranker Menschen nicht gewährleistet. Das gilt vor allem für die entlegenen Regionen Brandenburgs, fernab der Metropole Berlin, die ohnehin unter akutem Ärztemangel leiden. Und hier wie in allen anderen Gebieten D fehlt es vore allem an Möglichkeiten, ein würdiges Sterben zu Hause und unter minimalen Schmerzen zu ermögliche.
Für Einzelkämpfer wie Gastmeier ist die Palliativmedizin kaum mehr als ein Ehrenamt. Denn teure schmerzterapeutische Leistungen werden nicht außerhalb des normalen Tegelsatzes vergütet. Im vergangenen Jahr wurden die ohnehin niedrigen Sätze noch einmal um bis zu einem Drittel gekürzt. Und immer wieder gibt es Fälle, in denen sich Palliativmedizin nicht nur nicht rechnet, sondern den behandelnden Arzt sogar Geld kostet. Im Falle Gastmeier nun vielleicht sogar die Existenz (wirtschaftlich, meine Anmerkung).
Dem Pat K. geht die Auseinandersetzung um seine unerwartete Genesung sichtlich an die Gesundheit. Sein Fall wird bei der AOK unter "Sonstiger Schaden" gehandelt: K. ist alleinerziehender Vater; 1999 wurde bei ihm ein Zungenkrebs festgestellt. Nach Ops und Bestrahlungen hatte er 25 Kilo abgenommen, Übelkeit und fehlendes Hungergefühl machten es ihm fast unmöglich, Nahrung zu sich zu nehmen. Dr. Gastmeier und einige Kollegen hielten den Pat. für "infaust", im Medizinjargon eine Umschreibung für die Annahme, der Pat. werde die nächsten Monate nicht überleben. Um Herrn K. das lange Sterben wenigstens erträglich zu gestalten, verschrieb Gastmeier ihm das Cannabis Präparat Marinol. Bislang ist dieses Medikament nicht zugelassen; es darf jedoch eingesetzt werden, wenn sich der Arzt davon Erfolg verspricht.
Und siehe da, das Medikament schlug an. Herr K. nahm zu, erlangte wieder Kraft und überlebte. Gleichwohl überzieht die AOK in Sachsen-Anhalt den Schmerztherapeuten im Nachbarbundesland seitdem mit Regressforderungen. Begründung: Marinol sei für diese Indikation nicht zugelassen und deswegen auch nicht zu bezahlen. Dass ebendies Medikament den Patienten gerettet hat, so argumentiert die AOK allen Ernstes, habe mit dem Regress nichts zu tun.

Teil 1, ( schick ich mal ab, bevor ichs unversehens lösche)
http://www.huahinelife.de

Es ist unklug, das Leben nach dem Zeitbegriff abzumessen. Vielleicht sind die Monate, die wir noch zu leben haben, wichtiger als alle durchlebten Jahre. (Leo Tolstoi)
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überlebt? das wird teuer - von ursel - 19.02.2006, 12:05
RE: überlebt? das wird teuer - von ursel - 19.02.2006, 17:19
RE: überlebt? das wird teuer - von Sedolin - 28.02.2006, 23:26

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